Was waren das doch für Berge von Problemen …

… denen man sich allerorten ausgesetzt sah, als am 24. Februar 2022 – von einem Tag auf den anderen – Putins und seines Machtapparates´ Krieg in der Ukraine herrschte und binnen Kurzem Flüchtlingsströme gen Mittel- und Westeuropa unterwegs waren.

Auch am Weißenberger Raum gingen diese nicht spurlos vorbei: Nachdem – ohne zu fragen: „Wieviel zahlt man uns, wenn wir den zumeist aus der Ostukraine Ankommenden ein Dach über dem Kopf zur Verfügung stellen?“ –
Privatpersonen, Pensions- und Herbergsbetreiber, Vereine oder Kirchgemeinden, etc. Zimmer, Wohnungen, ja gesamte Häuser in aller denkbarer Eile mindestens mit allem zum Schlafen und Essen erforderlichen Mobiliar und Utensilien ausgestattet hatten, galt es das Alltagsleben der zumeist jungen Mütter und ihrer Kinder zu organisieren.
Neben den unzähligen Behördengängen und -fahrten, denn dabei oder beim Einrichten eines Bank- oder Sparkassenkontos, beim dringenden Arztbesuch, u.a. zu überwindenden Sprachbarrieren wurde es erforderlich, den Kindern geregelten Zugang zu ihrem Alter entsprechenden Bildungseinrichtungen zu ermöglichen – ohne dadurch den Besuch der Vorschuleinrichtungen und Schulen durch ortsansässige Mädchen und Jungen zu beeinträchtigen.

Kurzerhand wurde – initiiert vom Bürgermeister, Herrn Arlt – im Rathaus eine für derlei Fragen und Probleme zuständige Person benannt: Herr Rudolph. Sowohl mit dem Schulträgerverein Weißenberg e.V., als auch der Schulleiterin, Frau Ertel, kam man schnellstens überein, dass eine Lösung für dieses Problem gefunden werden muss.
Bereits nach der 1. Zusammenkunft mit drei Ukrainerinnen, von denen lediglich eine ukrainische Sprache und Literatur sowie ausländische Literatur auf Lehramt studiert hatte, waren alle drei Hochschulabsolventinnen Willens, den ukrainischen Schülerinnen und Schülern der zahlenmäßig am stärksten vertretenen Altersgruppe, den 10- bis 12-Jährigen, unverzüglich in den bereits genannten Fächern sowie Mathematik und Englisch in ihrer Muttersprache zu erteilen – in den Räumen der Freien Schule Weißenberg.
Ich selbst war zu diesem Zeitpunkt – nachdem ich am Ende des Schuljahres 2020/21 in Rente gegangen war – bereits in der Notaufnahmestelle Schützenplatzhalle Bautzen auf 450€-Basis tätig. Persönlich von Herrn Arlt und Frau Ertel angesprochen, stand es für mich außer jeder Frage, dass ich mich als gelernte Russisch-, Geografie- und Englischlehrerin einerseits der Notwendigkeit, andererseits der Herausforderung stellen würde, den Deutsch-als-Zweitsprache-Unterricht in einer solchen Klasse zu übernehmen.

Zwei Monate nach Kriegsbeginn stand somit dem 1. Schultag für zunächst 12 Lernende in der Weißenberger „Willkommensklasse“ nichts mehr im Wege. Selbstverständlich gab es für sie alle die aus diesem Anlass übliche Zuckertüte – wenn auch im Mini-Format. Jeweils von Mittwoch bis Freitag konnten sie den Kunsterziehungsraum im alten Schulgebäude nutzen, wurden aber auch in der hauseigenen Werkstatt in Holzbearbeitung unterwiesen. „Stolz wie Bolle“ trugen sie alle nach einigen Wochen ein selbstgefertigtes Vogelhaus zu ihrem hiesigen Zuhause. Und auch beim Jonglieren konnten sie auf Gedanken abseits des Krieges kommen.
Auf dem Schulhof wurden erste zaghafte Versuche von den deutschen Schülerinnen und Schülern unternommen ihre ukrainischen MitschülerInnen anzusprechen – zumeist nachdem sie sich bei mir erkundigt und mehrmals nachgesprochen hatten – wie man dies am besten auf Russisch tut. Etwas, das in diesem Zusammenhang nicht selbstverständlich ist: zu keinem Zeitpunkt hat sich irgendjemand aus den Reihen der UkrainerInnen daran gestoßen, dass wir uns immer nur in der Sprache ihrer Kriegsgegner verständigen können.

In Vorbereitung auf den „Tag der offenen Tür“ an der Freien Schule Weißenberg am 18. Juni 2022 studierten die ukrainischen Lehrerinnen mit ihren SchülerInnen ein beliebtes Lied über „Winnie, the Pooh“ in ihrer Landessprache ein, das sie mit Ivans Gitarrenspiel unterstützt vortrugen und spontan vom Mitklatschen des deutschsprachigen Publikums aus MitschülerInnen, deren Eltern und Großeltern sowie Lehrkräften unterstützt wurde.

Zum das Schuljahr 2021/22 abschließenden Höhepunkt avancierte der Besuch des Saurierparks Kleinwelka, der auf meine Anfrage mit einem 50%-igen Preisnachlass durch dessen Betreibergesellschaft ermöglicht wurde. Zu den frühen Besuchern des Parks gehörend, fanden die ukrainischen Kinder zwar keine Würmer, aber tatsächlich mehrere Saurierzähne und natürlich riesiges Vergnügen auf den vielgestaltigen Abenteuerspielplätzen und besonders im an den Film „Jurassic Park“ angelehnten Bunker und Jeep.

Wer mag, kann am Ende dieses Artikels einmal versuchen zusammenzuzählen, wie Viele dazu beigetragen haben, dass die in der Überschrift genannten „Berge von Problemen“ nicht zu Hindernissen geworden sind.
Diesen Unzähligen – und es dürfen gern noch mehr werden – ist es gelungen, durch ihr einzig und allein am Finden einer Lösung für das Problem orientierten Handeln den einen oder anderen Berg zu versetzen.
Und dafür sei an dieser Stelle ihnen allen – im Namen der ukrainischen SchülerInnen und deren Eltern sowie Lehrerinnen – aufrichtig gedankt.


Bärbel Mundra

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Willkommensklasse mit Lehrkräften
Auftritt zum Tag der offenen Tür